Zum Inhalt springen

Gemeinsam träumen – Liebe sei Tat

Das Misereor-Hungertuch 25
Datum:
18. Feb. 2025
Von:
Michele Schumacher

Das Misereor-Hungertuch 2025/26 von Konstanze Trommer

 

© Misereor

Digital als Collage entworfen, auf Leinwand gedruckt, ist das Hungertuch mit Acryl übermalt und Blattgold versehen worden. Die verwendeten Fotos stammen aus Misereor-Partnerprojekten und von der Künstlerin selbst. Unter einem geteilten Himmel, blau und auf der anderen Seite bedrohlich verdunkelt, lebt eine bunte Gruppe von Kindern auf einer Insel, begleitet von einigen Tieren.

Misereor nimmt Sie mit auf eine ungewöhnliche Insel-Reise, die die Künstlerin mit uns antritt, um die verschiedenen Aspekte weltweiter Krisen zu betrachten und Modelle für die Zukunft zu entwickeln.

 

 

MENSCHENKINDER

DIE LETZTE GENERATION?

Die Bedrohung unserer Lebensräume prägt die heutige Realität. Es brennt, es schmilzt, Menschen sterben durch Hitze und Flut. Klimaschutz ist auch Menschenschutz. Dass die Klimakatastrophe, Kriege, globale Ungerechtigkeit, Flucht, Vertreibung und soziale Verwerfungen tatsächlich Facetten einer komplexen Krise sind, ist seit langem sichtbar.

Von diesen Krisen erzählt das neue Hungertuch: Auf den ersten Blick ein schmaler Sandstreifen, umspült von türkisgrünen Wellen, in denen sich Delfine tummeln. Die Kinder, eine bunte Truppe aus aller Herren Länder und verschiedenen Alters, wirken beschäftigt. Aber dieses Idyll hat Brüche.

Das Bild ist konzeptionell zweigeteilt: links ein wolkenlos himmlisches Blau, rechts verdunkelt ein Tornado bedrohlich den Horizont. Kein Baum, keine Pflanze bieten Schatten oder Nahrung.

Welches Ereignis die dreizehn Kinder auf diesem Sandhaufen hat stranden lassen beantwortet das Bild nicht. Mitten auf der Grenzscheide, zwischen Paradies und Katastrophe, ist ein leuchtend-weißes Zelt errichtet, das ohne sichtbare Verankerung direkt im Sand steht. Blattgold rahmt seinen linken Rand und bildet gedanklichen Schutz und Behausung.

 

 

Vor und neben dem Zelt ist die Gruppe der Kinder angeordnet. Jeweils zu zweien gehen sie verschiedenen Tätigkeiten nach. Einige friedliche Tiere begleiten sie: ein kecker Lemur, der Storch hoch auf dem Zeltdach, Grindwale (Delfine) umkreisen im Familienverband die Insel.

Im Wasser dümpelt ein Schlauchboot, zwei Mädchen machen sich daran, Kanister herauszufischen. Hat sie ein Helikopter abgeworfen wie der, der gerade die Insel anfliegt? Auch das bleibt rätselhaft. Vermutlich enthalten die Behälter Nahrungsmittel. Die Kinder sind also nicht komplett vergessen und vom Rest der Welt abgeschottet.

Entdecken wir gemeinsam die Details des Bildes! Die verwendeten Fotos wurden am PC arrangiert. Sie stammen aus Misereor-Projekten und dem privaten Fundus von Konstanze Trommer, so alle Tiere und die beiden Mädchen im Schlauchboot. Hier hat sie zweien ihrer Enkelinnen einen Part zugewiesen. Die Schrift auf dem Schwimmflügel gibt einen Hinweis: OMA.

Konstanze Trommers Hungertuch, eine provokante Vision zwischen Paradies und Apokalypse, erscheint gleichsam als buntes Wimmelbild. Auf den ersten Blick froh und sorglos, leben die Kinder und Tiere ihre Inselexistenz. Beim näheren Hinschauen sehen wir die Brüche: Das Mädchen, mit dem viel zu schweren Baby auf dem Arm wirkt sichtlich überfordert.

Die abgebildeten Kinder kommen aus unterschiedlichen Regionen: Brasilien, Nigeria, Indien, Afghanistan und europäischen Ländern. Bei den Tieren handelt es sich ausnahmslos um friedliche Tiere, die im Wasser, auf dem Land und in der Luft leben. Meerkatzen (Lemuren) spielen im madagassischen Schöpfungsmythos eine wichtige Rolle. Von Delfinen wird berichtet, dass sie menschliche Boote begleiten, ja sogar Schiffbrüchige wieder ans Land zurückgeführt haben sollen.

Der Storch ist ein seit der Antike bekanntes Symbol für Neugeburt und Auferstehung, dessen Bedeutung immer noch in den Geschichten um den Klapperstorch weiterlebt.

 

 

UNTERWEGS SEIN

ZELT GOTTES UNTER DEN MENSCHEN

Das Zelt, zentrales Motiv des Bildes, erinnert an weiße UN-Unterkünfte für geflüchtete Menschen. Aus einer Situation der Stabilität heraus können Zelte für Urlauber frei gewähltes mobiles Zuhause auf Zeit sein. Zelte sind durchlässig, fragil, unsicher, bieten kaum Privatsphäre, sind schnell auf- und abgeschlagen.

 

Das Zelt auf dem Hungertuch aber ist besonders. Mit seiner goldenen Umrandung und den Ornamenten am Eingang verweist es über die profane Bedeutung hinaus auf Heiliges und erinnert an die biblischen Erzählungen vom Weg des Volkes Israel durch die Wüste, als die Bundeslade, in einem besonderen „Zelt der Begegnung“ (Exodus 29, 42-43) verwahrt, voran zog – Gott, der mitten unter den Menschen und mit ihnen unterwegs ist: „Ich bin da“. (Ex 3,14)3. Auch der Beginn des Johannesevangeliums, der Johannesprolog, spricht von Gott, der bei uns wohnt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns …“

 

 

ZUKUNFT IST WIR

WOHIN GEHEN WIR GEMEINSAM?

Der kahle Sandstreifen ist wahrhaftig kein Sehnsuchtsort, der kindertauglich wäre. Dreizehn Kinder – eine schräge Zahl, die in vielen Kulturen für kommendes Unheil steht. Da läuft nichts mehr rund. Diese Insel im Nirgendwo ist Neuland.

Als wir dieses 25. Hungertuch thematisch planten, wollten wir die Haltung, die uns spirituelle Richtschnur und Grundlage im Dialog mit den Partnern ist, ins Zentrum stellen. Das neue Hungertuch zeichnet unsere Chancen, aber auch die durch das Konsumverhalten der Menschen und die durch Veränderungen des Anthropozäns bedingten Bedrohungen. Es zeigt die Verantwortung eines und einer jeden Einzelnen. Nur wenn wir in Solidarität und Geschwisterlichkeit zusammenstehen, wird es für uns und unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft geben. Damit nimmt die Künstlerin die entscheidenden Aussagen der Enzykliken „Fratelli Tutti“ und „Dilexit nos“ von Papst Franziskus aus den Jahren 2021 und 2024 auf. Der Papst schließt hier an die Enzyklika „Laudato SÌ“ an, die 2025 zehn Jahre alt wird, in der er der Menschheitsfamilie die gemeinsame Verantwortung für Gottes Schöpfung bewusst machte.